Viereinhalb Wochen und ... Lernnuggets

Viereinhalb Wochen hatte ich Urlaub. 

Viereinhalb Wochen habe ich mich auf meinem Motorrad durch das südöstliche Europa treiben lassen. Viereinhalb Wochen habe ich den Wochentag vergessen, das Datum vergessen und den Tag nach dem Sonnenstand und nicht nach einer Uhr eingeteilt. Und nun?

Nun sitze ich wieder in meinem Büro. Fühle mich fast ein wenig eingesperrt. Denke über all das nach, was wir haben und nicht brauchen und worüber wir dennoch oft leichtfertig und unbedacht jammern oder schimpfen.

Und was begegnet mir? Ein für mich neues Wort: Lernnuggets!

Ganz ehrlich: Könnten Sie sagen, was das ist? Ich habe es jetzt gelernt. Es sind kurze, maximal zwei Stunden dauernde, digitale Fortbildungen. Am Nachmittag, frühestens ab 15 Uhr, meist von 16 bis 18 Uhr.

Was das bei mir auslöst?

Ich sitze da und schaue auf den Bildschirm. Es fällt mir schwer, zu glauben, was ich da sehe. Doch es steht da. Schwarz auf weiß. Kopfschüttelnd blättere ich weiter durch den digitalen Katalog. Bei dem sich jemand - das gebe ich gerne zu - wirklich Mühe mit dem Layout gegeben hat. Leichte bis mittelgradig schwere Ironie zieht in mir auf. Sie wandert vom Bauchgefühl in den Kopf und es entstehen erste Gedanken. Darüber, dass das doch nicht ernst gemeint sein kann.

LERNNUGGETS!

Wer um alles in der Welt denkt sich ein solches Wort aus?

Ich sitze hier und denke an meine viereinhalb Wochen. Über die ich heute eigentlich schreiben wollte. Darüber, dass in Teilen Europas Familien dadurch ernährt werden, dass die Kinder Pilze sammeln und am Straßenrand verkaufen. Statt in die die Schule zu gehen. Darüber, dass ich in diesem Urlaub nicht nur aufgefallen bin, weil ich als Frau Motorrad fahre. Nein, es war weil ich als Frau ALLEINE auf einem GROßEN Motorrad unterwegs war. Ein Motorrad, dass sich in vielen der von mir besuchten Länder nur extrem wenige Menschen leisten könnten. Dennoch ist mir so viel Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft begegnet. So viel Wertschätzung - ohne Neid. So viele Menschen, die so viel weniger haben wie wir und gleichzeitig doch auch viel mehr. Denn sie hechten nicht auf der Jagd nach der nächsten Profilierung und gehören nicht zu denjenigen Menschen, die stolz die "neuen und niederschwelligen Lernnuggets" anbieten und meinen, damit sie einen so großer Wurf gelungen und etwas noch nie Dagewesenes sei von ihnen geschaffen. 

Ich möchte wieder auf mein Motorrad. Ich möchte wieder durch Südosteuropa fahren. Ich möchte wieder in Gesichter blicken, die noch wissen, welche Pilze essbar sind und dass die Welt nicht von Anglizismen lebt, die kein Mensch braucht, um glücklich zu sein. 

Ich möchte raus aus dem Kulturschock, der mich heute so kalt erwischt hat wie das Wetter. Doch ich traue mich nicht. Noch nicht. Aber manchmal frage ich mich, wann es soweit sein wird, auch hierfür noch den Mut zu finden.

Wofür reicht ihr Mut?