Montags-Gedanken - Lebensbilder im Wandel der Zeit

"Man kann seine Lebensvorstellung ausbauen, weiterbauen oder neu bauen. Nur weil wir etwas mit Anfang 20, mit Anfang 30 oder mit Anfang 40 richtig gefunden haben, muss das nicht heißen, dass es für unser ganzes Leben richtig ist."

Das sind die Worte einer Therapeutin auf die Anmerkung, dass mein Leben einmal ganz anders war. Dass ich einmal auf ganz andere Dinge Wert gelegt habe, als ich dies heute tue. Dass ich manchmal das Gefühl habe, mich nicht mehr zu kennen. Es sind die Worte einer Therapeutin, um den Mut für die Veränderung zuzulassen. Denn die Angst beginnt im Kopf. Der Mut aber auch!

Ist das nicht ein wunderbarer Gedanke?

Da sitze ich mit Anfang 50 da. Mein "runder Geburtstag" ist der Pandemie zum Opfer gefallen. So der Gedanke. Wobei das ja gar nicht stimmt, denn natürlich bin ich trotz hartem Lockdown älter geworden. Habe trotz hartem Lockdown Geburtstag, der eben nur nicht groß gefeiert werden kann. Ärgerlich. So werden sicher viele gedacht haben und auch ich war nicht so ganz einig mit mir selbst, ob das nun doof ist. Doch wird dadurch nicht deutlich, dass wir selbst verantwortlich dafür sind, ob es uns (nachhaltig) ärgert oder ob es uns egal ist, ob wir es bedauern oder ob wir gut damit umgehen können. Meinen Geburtstag betreffend war es in der Tat eher der gesellschaftlich gepräfte Gedanke, dass man bei so einer Zahl ja normalerweise groß feiert. Ich habe dies nicht getan. Und es hat mir auch nicht gefehlt.

Es sind doch die kleinen Dinge, die uns in der Regel von großen Ereignissen im Gedächtnis bleiben. So wie unsere Lebensvorstellungen, die wir in jungen Jahren entwickeln. Wenn wir uns überlegen, was wir einmal werden wollen, welche Ausbildung wir uns wünschen, was wir studieren möchten. Wenn wir für uns wichtige Weichen zu stellen haben, weil wir etwas erreichen möchten, weil wir etwas von der Welt sehen möchten oder weil wir einen bestimmten Status erreichen wollen. Nun ja, diese Geschichte mit dem Status ist ja nun so eine Sache. Doch diese Diskussion ist ein andermal zu führen.

Wir treffen also als junger Mensch manchmal kleine, manchmal schwere, in jedem Fall aber bedeutende Entscheidungen. Die Auswirkungen sind dabei oft sehr groß, ohne dass wir uns des kausalen Zusammenhangs bewusst sind. Ich habe mich beispielsweise für ein Studium entschieden, dass nun nicht gerade den feinsten Zwirn in meinem Kleiderschrank zur Folge gehabt hätte. Denn in der Grundschule und auch in der Haupt- und Realschule ist das Kostümchen und sind die High Heels weniger passend für den Alltag. Dann kam aber die Entscheidung, mit diesem Studium mehr anzufangen und der Inhalt meines im Grunde durch Jeans und Pullover geprägten Kleiderschranks wuchs um feine Stoffhosen und Blusen an, die Absätze an den Schuhen wurden höher. in meinem Bad wuchs das Arsenal an Kajalstiften, Make-Up, Nagellackfläschchen und Co. Irgendwann kam aber der Punkt, an dem ich mich fragte: wozu? 

Wozu nehmen wir die eine oder aber die andere Klamotte? Warum machen Kleider Leute? Und warum wird in bestimmten beruflichen Zusammenhängen eine bestimmte Kleiderordnung erwartet und geradezu gesetzt? Macht der feinere Stoff einer Bluse uns in unserem Tun besser? Weil wir durch ihn bei unserem Tun besser aussehen?

Wahrscheinlich stimmen mir nun ganz viele Menschen zu, wenn ich sage: Nein, das tut der Stoff nicht. Doch er zeigt nach außen, dass ich eine Art Karriere gemacht habe. Dass ich etwas Wichtiges tue. Wichtig für das System, für die Gesellschaft, für andere. Ich kann es durch meine Kleidung nach außen spiegeln und Menschen, die keine Ahnung haben, wer ich bin und was ich mache, werden beim Anblick meiner Kleidung wohl vermuten, dass ich etwas Wichtiges mache. Doch ist mir das wichtig?

Ich sitze also eines Tages bei der Therapeutin und stelle fest, dass ich mich verändert habe. Dass sich meine Ziele, mein Denken, meine Haltung gegenüber Status-Symbolen und der Wichtigkeit von Besitz, von Hab und Gut, verändert haben. Der Moment des Feststellens ist dabei auch der Moment der Erkenntnis. Während ich die Veränderung beschreibe und sie dadurch auch mir selbst noch einmal sehr viel bewusster wird, frage ich mich: Wozu wollte ich das alles? Warum war mir das alles wichtig? 

Doch durch den Satz der Therapeutin wird mir klar, dass die Antwort auf diese Fragen völlig unwichtig ist. Wichtig ist dagegen, dass ich mich frage, was ich will und was ich dafür tun muss, dass ich wirklich das tun kann, was ich als mein Ziel, meine Gedanken, meine mich erfüllende Handlung erkenne.

Ich glaube, dass wir viele Dinge einfach tun, weil "man sie eben tut". Wir lesen Zeitung oder schauen oder hören Nachrichten. Wir bewegen uns in den sozialen Medien. Ja, ich natürlich auch. Wir gehen arbeiten, kaufen ein, kochen essen. Und wir kleiden uns anständig und halten uns mit Aussagen zurück, die andere vor den Kopf stoßen könnten. Wir funktionieren und leisten unseren Beitrag zur Gesellschaft. Aber wollen wir das so? Oder bewundern wir heimlich die Aussteiger? Diejenigen, die ihren Traum leben. Irgendwo auf der Welt?

Und dann sitze ich da. Bei der Therapeutin. Was mich erfüllt, das weiß ich. Was mich glücklich macht, das weiß ich zu einem großen Teil. Wovon ich träume, weiß ich sehr genau. Und ich gehe nach Hause und räume meinen Kleiderschrank um. Er ist das Sinnbild meines Lebens. Und jetzt kann man es auch sehen. Mein Lebensbild wächst und ich werde weiter daran arbeiten, dass ich in diesem Lebensbild glücklich sein kann.

Angst? Ja, ein wenig Angst habe ich. Doch in meinem Kopf ist ein Samenkorn aufgegangen. In meinem Kopf wächst ab sofort Mut! Was wächst in deinem Kopf?