Digital zerschossene Lebenswelten

Ja, das klingt negativ. Und ganz ehrlich: Wie oft fragen wir uns, warum jemand einen bestimmten Spruch, ein Bild, was auch immer postet? 

Bei dem Einen liest man was von Herzschmerz, bei dem anderen etwas über Enttäuschungen durch andere Menschen, wieder ein anderer erklärt, dass er sich für nichts rechtfertigen muss und der nächste teilt mit, dass stille Wasser tief und die Ruhigen dieser Welt, diejenigen mit wahrer Stärke sind, während der letzte in dieser Reihe ankündigt, dass er alle Kontakte löschen werde, die jetzt nicht reagieren. 

Eine Freundin von mir postet fast täglich einen Cartoon. Mit lustigem Inhalt. Da fragt man sich dann eher nicht, warum sie das tut. Im Gegenteil, man hofft jeden Tag auf ihren kleinen Anlass zum Schmunzeln. Aber die negativen Dinge? Was ist das? Versteckte Hilferufe? Abrechnung mit anderen Menschen? 

Und warum und wofür kommt jemand auf die Idee, fast wöchtenliche "Montags-Gedanken" zu veröffentlichen? ;-)

In vielen Dingen sind wir Menschen uns ja sehr ähnlich. Wenn uns jemand verletzt hat, wenn wir uns über etwas geärgert haben, auch wenn uns etwas Schönes wiederfahren ist, dann möchten wir das mitteilen. Ich erinnere mich an einen Satz aus der Generation meiner Großeltern. Dieser Satz war sehr kirchlich geprägt und doch passt er dazu: Wenn das Herz voll ist, läuft der Mund über. Gemeint ist, dass wir über bestimmte Dinge einfach reden müssen, damit wir nicht innerlich im übertragenen Sinne platzen. Das war schon immer so und früher, vor nicht mal einem halben Jahrhundert, wurde dann zum Telefonhörer gegriffen oder, noch besser, man fuhr zur besten Freundin, dem besten Kumpel und redete sich alles im wahrsten Sinne des Wortes von der Seele. Man erzählte sich, was einem wiederfahren ist und dann tauschte man sich darüber aus. Nachvollziehbar. Warum aber postet jemand, dass er alles "stillen" Kontakte löschen werde, weil das keine echten Freunde seien? Was wird mit so etwas bezweckt? Hofft dieser Mensch darauf, dass andere darum betteln werden, in dieser anonymen Welt der sozialen Netzwerke auf irgendwelchen Listen zu bleiben? Defininieren sich die Menschen darüber?

Ich denke, man merkt schon an meiner Fragestellung, dass mir ein solcher Gedanke schwerfällt. Und ehrlich: auch wenn ich selsbt zu den Nutzern der sozialen Medien gehöre und mich daran erfreue und meinen Spaß daran habe, so erfüllt es mich doch eher mit Traurigkeit, wenn ich Menschen erlebe, die nur noch in dieser digitalen Welt zuhause zu sein scheinen. Es scheint mir an Armutszeugnis, wenn ein Mensch sich über digitale Zahlen definiert. Doch das ist wohl ein Theme, dem ein "eigener" Montags-Gedanke gebührt.

Die Wunder der Technik, der Fortschritt der Digitalisierung brachte uns so manches System mit, durch das wir heute nicht mehr mit einem Problem, einer schlechten Erfahrung, Trauer oder Sorge ganz real zu unseren Freunden gehen. Denn es ist ja so praktisch, mal eben schnell eine Nachricht zu schreiben. Die das Gegenüber dann lesen kann, wenn es Zeit hat. Man kann sich mitteilen, ohne darauf angewiesen zu sein, dass der andere jetzt - genau jetzt, wo das raus "muss" - dafür zur Verfügung steht. Und man kann es gleich mehreren mitteilen. Am besten noch der ganzen Welt des "social media-Universums". Jeder kann sehen, dass mich jemand fies behandelt hat, dass jemand verlogen ist, dass ich selbst ein Opfer bin (welches im Übrigen natürlich selbst nie Fehler macht oder gemacht hat). Oder aber: jeder kann sehen, was für ein toller Mensch ich bin, was ich für ein Glück habe, was für ein grandioses Erlebnis ich hatte und wie sehr man mich liebt. 

Doch wer ist man? Und warum bin ich ein Opfer? Und ist es wirklich wichtig und richtig, dass alles so laut herausposaunt wird? Oder wäre nicht doch das Telefonat mit der Freundin oder ein Gespräch unter Freunden bei einem Feierabend-Getränk viel sozialer als die "social-media-Welt"?

Die Wunder der Technik und der Fortschritt der Digitalisierung haben viele gute Möglichkeiten in unser Leben gebracht. Doch sie haben auch die Kommunikation unter uns Menschen verändert. Während man früher zusammenkam und sich austauschte, sich gegenseitig in schwierigen Zeiten stützte, findet dies heute vielfach anonym im Netz statt. Auf eine Art und Weise, die andere Menschen vielleicht verletzt. Beisielsweise der verlassene Partner, der nun in den ach so sozialen Medien auf unsozialste Weise mitbekommt, wie der "Ex" seine neue Liebe lebt und plötzlich so manche Situation aus der jüngeren Vergangenheit klar wird. Da gibt es nur einen Rat, wie ich meine: raus aus den sozialen Netzwerken oder die Einstellungen so machen, dass man den "Ex" nicht mehr angezeigt bekommt!

Und was ist nun mit den Montags-Gedanken? Was ist mit Reiseberichten? Was ist mit Berichten über ferne Länder, Kulturen, die Schönheit unserer Welt? Wieso posten wir das? 

Ich glaube in der Tat, dass auch das aus dem menschlichen Bedürfnis kommt, sich mitzuteilen. Dinge und Erlebnisse zu teilen. Wir sind nun einmal soziale Menschen und egal, ob nun negativ oder positiv, so läuft der Mund über, wenn das Herz voll ist. Warum wir es dann aber in der Öffentlichkeit der sozialen Medien der ganzen Welt zugänglich machen, ist so verschieden wie wir Menschen sind. Letztendlich kann also jeder die Frage nur für sich beantworten. 

Wie meine Antwort lautet? Wenn ich gefragt werde, warum ich poste? In sozialen Medien und sogar hier? Weil es Spaß macht! Denn ich weiß gar nicht, ob das überhaupt jemand liest. Jedenfalls nicht hier. In den sozialen Medien kann man es ungefähr erkennen, da dort Menschen direkt reagieren. Und doch mache ich es in erster Linie und ausführlicher hier. Weil es mir, wie schon gesagt, Spaß macht. Und es befreit mein Denken, wenn "es raus ist". So kann ich mich besser auf andere Dinge konzentrieren. Und ja, ich bin Single und habe auch ein Mitteilungsbedürfnis. Allerdings nicht zu meinen ganzen persönlichen Dingen. Die gelangen per Telefon oder bei einm Glas Wein zu meinen Freunden. ;-)

Und ganz nebenbei, gebe ich die Hoffnung nicht auf, dass es vielleicht doch irgendjemand liest und mein kleiner Gedankenanstoß hier ein poisitives Denken oder dort ein kleines, gewinnbringendes Grübeln auslöst. Oder auch, dass bei meinen Reiseberichten vielleicht irgendwo auf der Welt ein Mensch einfach nur Spaß hat, weil ihm mein Bericht gefällt. Ein schöner Gedanken, wie ich finde! :-)